Tour des Ponts. Gastbeitrag von Alois Bischof

Ohne Hindernisse keine Brücken und Brücken als Hindernisse.

Brücken verbinden – Brücken schlagen.

Brücken hinter sich abbrechen, manchmal muss etwas (Zeit? die Autobatterie?) überbrückt werden.

Eine Tour über und unter Basels Brücken.

Als Urs neun Jahre alt war, in die Primarschule ging, musste er die Namen der sechs Basler Brücken auswendig lernen. Dies im Fach «Heimatkunde», womit vor allem die Stadt Basel gemeint war, und zusammen mit der Lehrerin, Fräulein Brontschin, und seinen Klassenkamerädli ging Urs auf einen grossen Spaziergang, schaute sich all die Brücken an, musste sich auch die Namen der berühmten Häuser zwischen Wettsteinbrücke und Mittlerer Brücke merken. Was ihm damals Eindruck machte, war, dass Fräulein Brontschin so ungeheuer viel wusste, dass die Häuser am Kleinbasler Ufer derart uralt waren, dass auch die Mittlere Brücke seit Urzeiten da zu stehen schien.

Das war 1962, und etwa zur selben Zeit sang ich in der kleinen Stadt am Bodensee «z’Basel uff dr Brugg mit em Nastuech im Gnigg …», ahnte nicht, dass ich dereinst als verbissener Brückenwanderer, – flanierer, – liebhaber in Basel leben würde.

An diesem Morgen liegt die «Baquero» in der Schleuse in Birsfelden, es ist  Viertel nach acht Uhr, es regnet, der schmale Steg neben dem offenen Schiffsbauch glänzt rutschig. Ruedi Hirschi hebt sein Velo auf das Schiff, steigt hinüber. Er streift sich die Schuhe von den Füssen, besteigt die Schiffskabine, stellt sich an die Kommandobrücke, gibt Schub, das Schiff gleitet in Richtung

Eisenbahnbrücke

über die täglich und nächtlich ICE-Züge und Regionalzüge und Güterzüge donnern. Unterwegs von und nach Berlin oder Hamburg oder Mailand oder Zürich.

Die Brücke aus Stahl erinnert an eine langgezogene Blechbüchse, die auf drei Pfeilern über den Rhein gelegt wurde. 1873 wurde sie dem Verkehr übergeben, nachdem sie die Belastungsprobe mit sechs Lokomotiven überstanden hatte.

Heute kämpft die inzwischen zweigleisige Stahlbrücke mit Lärmproblemen.

Den Geleisen entlang führt ein schmaler Fusssteg. Der Blick hinauf zum Kraftwerk, hinunter ins Wasser des Rheins, die gefährlichen Wirbel am mittleren Pfeiler, welcher der Schifffahrt schon immer ein Dorn im Auge war. Wie als Kind spucke ich manchmal ins Wasser, will, dass ein allerwinzigster Teil von mir dem Meer entgegentreibe.

Bin ich auf dem Fusssteg und ein Zug kommt daher, bleibe ich stehen, schliesse die Augen: Erdbebengefühl. Die Brücke zittert, der Fahrtwind des vorbeibrausenden Zuges schlägt ins Gesicht.

Von wegen Erdbeben. Erstaunlicherweise hat die alte Mittlere Brücke beim Erdbeben von 1356 kaum Schaden genommen. Bei einem heutigen, starken Erdbeben, bei dem ich hoffentlich die Zigarre nicht ausgehen lasse vor Bitterkeit, würde die Johanniterbrücke von den Trägern poltern.

Ruedi Hirschi, 58, einer von vier Basler Lotsen am Steuer der «Baquero». In der achten Klasse «kündigte» er die Schule, ging ins kalte La Brévine im Jura, heuerte irgendwann als Schiffsjunge an, durchlief sämtliche Stationen bis zum Schiffsführer, arbeitete bis 1986 bei der «Schweizer Reederei». Führt jetzt als Lotse Schiffe durch die Stadt.

Heute Morgen, bei diesem Wetter muss er keine Angst vor im Fluss treibenden Schwimmern haben. Der tote Winkel auf dem achtzig Meter langen Schlepper beträgt 300 bis 500 Meter.

Wenige Meter nach der Eisenbahnbrücke, sozusagen übergangslos, die

Schwarzwaldbrücke

diese Autobahnbrücke, über die täglich 110’000 Fahrzeuge «rötzen». Endloser Autostrom über dem Wasserstrom, schnelles Dahinjagen über dem Fliessen des Flusses. Wie früher die Stadtmauern, zieht die Autobahn einen Ring, trennt die Stadt in ein Innen und ein Aussen.

Was wäre Basel ohne das Schwimmen im Rhein, das Unterqueren der Brücken?! Zauberhaft ist es, unter den Brücken durchzuschwimmen, auf dem Rücken treibend, den Schwung und die Macht und die Mächtigkeit der Brücken mitzubekommen. Hart fällt der Schatten der Brücke ins Wasser, färbt es tintig. Über dem Kopf Tausende von Tonnen von Beton und Stahl. Die Eingeweide: Mächtige Rohre für Wasser und Gas und Elektrizität. Kammern und Höhlen und selbstverständlich auch Sprengkammern. Brücken sind und waren immer militärstrategische Bauwerke – bestimmt führt das Militär nach wie vor seine Sprengübungen durch. Geheim, selbstverständlich. Das Militär besitzt eigene Schlüssel für die Kammern …

Die «Baquero» auf dem Strom, Hirschi reagiert auf die Strömung, den Wind. Die «Baquero» ist ein mittelgrosser Kahn, 1’300 Tonnen, die Ladung Düngemittel wurde in Birsfelden gelöscht, in Rheinhausen wird wieder geladen werden. Der Kapitän und seine Frau stammen aus Antwerpen. Die «Baquero» läuft unter belgischer Flagge und dürfte vielleicht 800’000 Franken wert sein, was, verglichen mit einem modernen Chemietanker, der 14 Millionen kostet, nicht viel ist. Ruedi Hirschi nippt am Kaffee, konzentriert steuert er die

Wettsteinbrücke

an, weiss, so wie er die anfährt, kommt er durch die Mittlere Brücke.

Die Wettsteinbrücke ist meine liebste Wanderbrücke. Was soll das hässliche Geländer, was der eklige Lärm des Trams. Leicht steigt sie an, oben der weite, herrische Blick flusswärts, kaminewärts, blauehügelwärts, meerwärts.

Die Weite der Brücken. Die enge, mittelalterliche, zusammengepferchte Stadt öffnet sich, die Winde jagen über die Brücke, kein Schatten im Sommer, Winternebel, Herbststürme, gegen Feierabend der stockende Verkehr …

Natürlich wäre es wundersam, anstelle der jetzigen Brücke eine Calatravabrücke zu haben. Wäre ein schmuckes Band am Knie des Flusses geworden. Wäre teurer gewesen. Die Konservativen, die Effizienzler, die Zweckdenker, die Alten, haben sich gegen die Jungen, gegen die Ästheten durchgesetzt. Was soll’s – Brücken sind nicht für die Ewigkeit, sondern für hundert Jahre gebaut …

Übrigens: Eine Brückentour über sämtliche Brücken mit dem Velo – über die Brücke ist das Velo zu schieben – dauert eine gute Stunde. Vielleicht bei Nacht, der beinahe volle Mond. Endlich ist das Rauschen und Murmeln und Grummeln des Flusses wieder zu hören. Auf der Wettsteinbrücke steht verloren der Basilisk. Nach Mitternacht, faucht er in den Garten der Villa der Merian-Stiftung, beklagt sich über den Verlust seiner drei Gschpänli.

Das nächste Hindernis für die «Baquero» ist keine – oder eine schwebende – Brücke, nämlich die

Münsterfähre

mit ihren flatternden, tibetanischen Gebetstüchern.

Die Fähren sind Überbleibsel aus alter Zeit. Auf ihnen nimmt der Mensch wahr, dass er den Fluss überquert. Etwas, was beim Gehetze und «Gerase» über die Brücken gänzlich verloren geht.

Das Hin und Her zwischen dem Grossbasel und dem Kleinbasel. Auf der Seite des Münsters ist es immer einige Grade kälter und ausser dem schmalen Durchgang ist der Grund Privatbesitz. Hinüber ins mindere Basel, wo es wärmer ist und das Ufer allen gehört.

Jacques, «Schaggi» Thurneysen ist einer der Fährimänner. Er misst 198 Zentimeter. Seine stadtbekannten «blutten» Füsse entspringen keiner grünen Anwandlung, sondern haben damit zu tun, dass er von Kindheit an heisse Füsse hatte. Das bereitete seinen Füssen in jenen Zeiten, als die Mutter in der staatlichen Liegenschaft einmal pro Woche waschen konnte, währschafte Geruchsprobleme, führte im Turnunterricht zu peinlichen Situationen.

Jacques sagt: der Rhein macht grosszügig.

Jacques pfeift gut, er singt gut.

Er entstammt einer alten Familie. Der erste Thurneysen kam als Anwalt ans Konzil von Basel. Jacques Vater war der Sohn eines Papierfabrikanten, wurde später Kunsthändler in Paris und Zürich. Kaufte auch jüdische Kunst und wurde nach dem Krieg als Kollaborateur verurteilt.

Jacques kam in Paris zur Welt. Seine Mutter war 38 Jahre jünger als sein Vater.

Jacques lernte Möbelschreiner, war dann zehn Jahre on the road. Geschichten aus London und Japan, aus Panama und Boston.

Seit 15 Jahren ist er Fährimann. Parliert mit den Leuten Französisch und Englisch. Erzählt wunderbare Geschichten.

Von Jacques würde ich gerne ein Porträt schreiben.

Demnächst wird er für den Grossen Rat kandidieren. Im Kleinbasel, bei den Grünen.

Er kann meiner Stimme sicher sein.

Die «Baquero» lässt den «Leu» links liegen, tuckert durch den engen Bogen der

Mittleren Brücke

dieser stämmigen, granitenen, robusten Brücke, dieser klassischen Bogenbrücke, einem historisierenden Bauwerk, das 2005 erst einhundert Jahre alt geworden ist.

Über ihre Vorgängerin, die Alte Brücke, gibt es unzählige Artikel und Quellen. Auf dieser Brücke fand innerhalb der Stadtmauern pralles Leben statt. Es wurde flaniert und gepöbelt, über die Brücke ritten und kutschierten hohe Herren und gekrönte Häupter und holde Damen. Ganze Heere verschoben sich über die Brücke. Auf ihr lebten Menschen, wurde Brückenzoll eingefordert, hatte der Brückenpolizist ein waches Auge. Mal brach die Brücke ein und Menschen ersoffen, mal barst das Geländer und Menschen purzelten ins Wasser, mal knallte ein Schiff gegen die Pfeiler und wieder mussten Leichen aus dem Wasser gezogen werden. Beim Käppelijoch wurden Hexen und Ehebrecherinnen in den Fluss geworfen, und die Menschen gingen ums Käppelijoch herum, um ihre Zahnschmerzen loszuwerden. Was war das für ein Betrieb. So zählte man auf der Alten Rheinbrücke am 31. Mai 1867 28’555 Personen, 1’267 Wagen, 913 Handkarren und 105 Stück Vieh.

Immer wieder ab- und nachgeschrieben: Der erste und einzige Übergang zwischen Bodensee und Meer – was nicht stimmt.

Der Weg über den Gotthard als Auslöser für den Bau im Jahre 1225 – was so auch nicht stimmt.

Aber sicher führten viele Wege über die Alte Brücke nach Rom.

Heute flattern die Messefahnen- und die Baselstabfahnen im Wind. Über die Brücke eilen die Menschen. Einzig die Touristen und die Kinder verweilen, schauen auf den Fluss, die ziehenden Schiffe. Die Velos, das Tram und warum die Autos nicht von dieser Brücke verbannt werden, ist nicht einsehbar.

450’000 Zentner Gotthardgranit, der gezähmte, eingebettete Fluss. Der Blick ins trübe Wasser, mäandern, abschweifen, hinaus an die Neuhausstrasse in Kleinhüningen in die Räume der Labors der Rheinüberwachungsstation. Deren Leiter Dr. Jan Mazacek erzählt spannende, moderne Geschichten. Vom Coffeingehalt des Rheins, der sich während der Fasnacht markant erhöht. Von Venlaxin, dem Medikament, das bei Phobien, Depressionen, Angst und Panik hilft, und das sich im Milligrammbereich im Wasser nachweisen lässt. Nur keine Panik – das schlägt im Trinkwasser nicht durch …

Um diese Stoffe im Wasser schert sich die «Baquero» keinen Deut, sie steuert der

Johanniterbrücke

dieser feinen, fragilen, vielleicht elegantesten Brücke entgegen. In der Nacht macht sie beinahe einen zerbrechlichen Eindruck.

Bei der Eröffnung der ersten Johanniterbrücke im Jahre 1882 war die Rede von einer «Volksbrücke», einer demokratischen Brücke, die das Volk gewollt und durchgesetzt hatte. Im Gegensatz dazu hiessen die beiden anderen Brücken «Bischofsbrücke» (die Mittlere) und «Ratsbrücke» (die Wettsteinbrücke).

Wie wären die heutigen Brücken zu benennnen? Verkehrszwangbrücken?

Ich beuge mich über einen Zeitungsausschnitt aus dem Jahre 1979. Das Foto im Basler Volksblatt zeigt eine grosse, auf der Brücke angebrachte Tafel: «Hier verunfallte eine Velofahrerin TÖDLICH / wann endlicht gibt es Velowege?» Die Bildlegende hält fest, dass kaum ein Tag vergehe, «an dem die Zeitungen nicht über einen Velo- oder Mofa-Unfall berichten müssen.»  Schön, 25 Jahre später festzustellen, dass Basel eine veritable Velo-Stadt geworden ist.

Als letztes Hindernis unterquert die «Baquero» die neuste Brücke, die

Dreirosenbrücke

Nach der «schrägen Brücke», der Wettsteinbrücke, die 1878 an der Weltausstellung in Paris ein goldenes Diplom für die «Lösung der Rheinbrücke mit geneigter Fahrbahn» erhielt, hat Basel nun eine doppelstöckige oder doppelbödige Brücke.

In einem Buch des Tiefbauamtes ist die Geschichte der Dreirosenbrücke bestens dokumentiert. Da ist alles in Erfahrung zu bringen, von den 6000 Tonnen die bewegt wurden, über die Geologie, über die elastisch gelagerten Tramschienen, darüber, dass auch Brücken sich bei Wärme dehnen.

Das Geleitwort des Buches stammt von Bundesrat Moritz Leuenberger. Darin schwärmt er vor allem vom verglasten Untergeschoss, welches den Lärm des Schwerverkehrs von den Quartieren am Rheinufer fernhalte … «und wirkt wie ein Aquarium, in dem sich der Fluss des Verkehrs als Schauspiel präsentiert: Wie Walfische gleiten die Laster lautlos durch die Röhre». Ist es nicht tröstlich, einen poetischen Verkehrsminister sein eigen zu nennen?

Die neue Brücke ist transparent, blockig, auf dem oberen Stockwerk gewaltig, massig, breit. Es wird einem kaum noch bewusst, auf einer Brücke «in schwindelnder Höhe» zu stehen. Die Lärmschutzwände fehlen noch mehrheitlich, aber schön ist es anzusehen, wie die Brücke die Autos in ihrem Bauch verschluckt.

Ob der auf der oberen Fahrbahn geplante Boulevard je zum Leben erwachen wird? On verra. Die riesigen Betonbänke stehen verloren da. Die Schirme unter den Lampen erinnern ans Satellitenfernsehen. Vielleicht geht das einfach nicht zusammen: die Brückenköpfe werden «entmenschlicht», zu reinen Verkehrsknotenpunkten. Und auf der Brücke soll reges Treiben herrschen.

Aber jetzt hebt draussen im Flughafen Basel-Mulhouse eine Boeing ab, zieht eine Schlaufe über der Stadt. Der Blick aus dem kleinen Fenster. Schräg unten, im abendlichen Licht, die Stadt Basel. Links und rechts der «Körper» der Stadt, getrennt durch den glänzenden Fluss. Und an diesem, wie an einem Arm, die schmucken Reifen, die Brücken. Dunkle Bänder auf heller Haut. Sehr unterschiedliche Schmuckstücke, die von sehr unterschiedlichen Liebhabern erzählen.

Der Artikel erschien erstmals 2004 in der Basler Zeitung.

Alois Bischof (†), geboren 1951, arbeitete über dreissig Jahren als freier Journalist; seine Reportagen erschienen regelmässig in verschiedenen Zeitungen. Er lebte in Basel.

Hier meine Artikel zu den Basler Brücken.

Rainer Luginbühl

Journalist BR, Basel, Love what you do and do what you love