Es geht ein bisschen rauf,
es geht ein bisschen runter,
dazwischen fliesst der Rhein.
Grün soll sein Wasser sein.
Wenns regnet stürmt und schneit,
dann ist es braun,
braun anzuschaun.
Verhältnismässig drückend föhnt der Föhn;
es brodelt tief im Grunde;
darüber eine Stadt,
die Basels Namen trägt
und hat.Kurt Schwitters (1887-1948)
Seit 2000, jeweils im Juli/August (2021 im September), ankert unter dem Motto «im Fluss» das Kulturfloss. Die schwimmende Bühne ist 15m lang und 10m breit und bietet für ein paar Wochen am Kleinbasler Ufer bei der Mittleren Brücke allabendlich Künstlern und Musikern aller Couleur eine aussergewöhnliche Plattform. Das dargebotene Programm reicht von Hip-Hop, Rock, Jazz und Blues bis hin zu Comedy und Folk – bewundert vom Publikum, das sich in Scharen auf den Stufen am Ufer und in der eigens eingerichteten Bar einfindet. Und das nicht nur, wenn so bekannte Namen wie Stiller Has, Gardi Hutter, Michael von der Heide, Sina, Tony Scott, Charly Antolini, Patent Ochsner oder Plüsch auftreten.
Aber wie über beinahe alles, was den öffentlichen Raum betrifft, wurde auch über Vor- und Nachteile des Kulturflosses heftig debattiert. Schliesslich wies das Bundesgericht 2004 die Klage einer Anwohnergruppe wegen Lärmbelästigung ab. In der Begründung hiess es, die zentrale Lage des Rheinufers im Herzen Basels müsse besonders gewürdigt werden. «Wer hier wohnt, muss gewisse Lärmbelästigungen in Kauf nehmen, die in Basel Tradition haben oder zum kulturellen Leben einer Grossstadt gehören», war dem Urteil zu entnehmen. «Die Anwohner bleiben grösstenteils von Lärm verursachenden Veranstaltungen verschont», schrieben die Richter in Lausanne weiter. Sie waren der Ansicht, dass zwischen dem Ruhebedürfnis der Anwohner auf der einen Seite und dem Interesse an einer lebendigen Innenstadt mit einem attraktiven Kulturangebot auf der andern ein Ausgleich zu finden sei. Das Festival entspreche einem breiten Bedürfnis.
Tino Krattiger – ehemaliger Grossrat, Architekt, Anwohner, Initiant und Kapitän des Flosses – trifft man immer mal wieder am Rheinufer – sei es, dass er sich zwischen zwei Sitzungen inspirieren lässt, sei es, das er sich nach der Arbeit in gediegener Atmosphäre einen Kaffee am Rheinbord genehmigt. Wie Freunde aus der Jugendzeit berichten, wurde er auch schon mit Pfeil und Bogen, grünem Käppchen und Feder in den Wäldern von «Rheinwood-Forest» gesehen – auf seinen Kopf sei damals eine Belohnung ausgesetzt gewesen …. Auf alle Fälle hat Tino Krattiger eine innige Beziehung zum Rhein.
Wie ist es zum Kulturprojekt «im Fluss» gekommen?
Aus der Erkenntnis, dass die Kultur zu den Menschen kommen soll, also im direktesten Kontakt, z.b. am Puls des städtischen Lebens, notabene mitten in der Stadt, stattfinden muss. Und aus der Beobachtung heraus, dass es die Menschen zusehends ans Wasser zieht, also dass vor allem bei einer jüngeren Generation ein ausgeprägtes Bewusstsein für die Qualität dieser Orte am Wasser besteht. Als Letztes gaben die unglaublich einladenden Sitzstufen am Rhein den Ausschlag und mein Gefühl, dass diese nicht wirklich genutzt wurden, weil dort die Interaktion, also die Spiegelung zwischen Zuschauer und Darbietung, fehlte – was wesentliche Voraussetzung für einen Dialog unter den auf den Stufen Sitzenden untereinander ist.
Sie haben das Wasser also bewusst als Bühne gewählt?
Ich habe das Wasser als «Leiter» benutzt – ja. Es ist doch eine Tatsache, dass wir alle dieses Bild in uns tragen, wie wir uns an einen Fluss setzen und den Gedanken – unserm Lebenslauf –nachhängen. Nur, wann tun wir das wirklich? Wenn ich während eines Konzertes von einer Stunde mich aber dort hinsetze, «meiner» Musik und meinen Gedanken träumend nachhänge, dann hat das eine enorm grosse Wirkung – auch als Gemeinschaftserlebnis …
Sie beschrieben die zunehmende Nutzung des öffentlichen Raums einmal mit dem Begriff der «Mediterranisierung der Gesellschaft»: Man zeigt sich draussen, trifft sich auf öffentlichen Plätzen und Anlagen, isst auch noch nach 22 Uhr einen Happen in der Strassenbeiz und geniesst – vor allem im Sommer – auch das kulturelle Open-Air-Angebot. Haben Sie diese Entwicklung damals, bei der Gründung des Festivals, bewusst registriert oder erst im Nachhinein als gesellschaftlichen Trend festgestellt?
Nein, ganz klar im Vorfeld. Es war auch die Erkenntnis aus 18 Jahren Theaterarbeit im öffentlichen Raum – zuletzt die 10 Jahre im Kannenfeldpark, der immer mehr als Peripherie wahrgenommen wurde, also schlicht zu weit abgelegen war. Es war zu erkennen, dass eine neue Bevölkerungsschicht die Stadt ganz eindeutig in und von ihrem Kern aus wahr- und in Anspruch genommen hat. Wir sind also dort hingegangen, wo die Menschen waren …
Viele Klippen mussten umschifft werden, um das Floss bei der Mittleren Brücke zu etablieren. Ist das Floss heute fest verankert?
Ja – aber unter einer Art Denkmalschutz. Ein Bundesgerichtsentscheid ist eine starke Entscheidung. Sie hat das Floss geschützt – jedoch alle weiteren Interventionen in den öffentlichen Raum verängstigt. Es ist kein gutes Beispiel, wenn eine solches Projekt 5 Jahre lang in Gerichtsverhandlungen verstrickt wird – aus einem Mangel an politischem Willen – es ist ein eigentliches Politikversagen. Ich hätte mir gewünscht, dass mehr Konkurrenz-Flosse entstehen.
… und ab und zu legt das Hochwasser des Rheins die Bühne lahm …
Das sind Naturgewalten – aber nicht wesentliche Einschnitte – bis jetzt.
Waren es auch die Erfahrungen mit dem Kulturfloss, die Sie bewogen in die Politik zu gehen? Von 2005 bis 2009 waren Sie im Basler Grossen Rat.
Ja, ganz klar. Der Kampf wurde ja Gott sei Dank medial begleitet, so was schafft Öffentlichkeit und da tut es eben wie gesagt Not, sich nach gewonnener Schlacht für andere einzusetzen, wenn man sich Gehör verschaffen kann. Es ist aber ein Kampf gegen Windmühlen.
Wie hat sich das künstlerische Konzept über die Jahre verändert?
Es ist entstanden aus dem Konzept der Heterogenität, will sagen, verschiedene Interessen, kulturelle Hintergründe und soziokulturelle Zielgruppen anzusprechen, weil erst diese Durchmischung eine echte Qualität der Kontakte bringt und zudem in der sozialen Selbstkontrolle, zur besagten Kompetenz führt. Was dann den öffentlichen Raum gerade durch die Belebung in den negativen Auswüchsen beruhigt.
… und das alles kostenlos.
Unbedingt kostenlos, weil das «niederschwellig wirkt» und niemanden ausgrenzt.
Stimmt es, dass Ihnen die Idee des Flosses wichtiger ist, als das, was darauf geboten wird?
Nicht ganz. Es ist nicht erstrebenswert, ein angesagtes Rock- und Pop- oder Jazz- oder Ethno-Festival zu werden, weil wir für ein breites Publikum spielen müssen, eben heterogen. Einem solchen Programm kann man, wenn man böse will, auch Beliebigkeit unterstellen.
Es gab auch Expansionspläne, die Kulturplattform in andere Städte zu transferieren. Das ging nicht immer gut …
Das ging sogar sehr gut, zum Beispiel in Thun. Dort haben wir es geschafft, den Mühleplatz, der sehr stark von einer «polytoxikomanen [von mehreren Drogen abhängigen] Szene» beherrscht war, quasi sanft aufzubrechen und den Thunerinnen und Thunern mit dem Floss auf der Aare eine neue Betrachtung ihres Flusses und des Mühleplatzes zu ermöglichen. Das ging soweit, dass – nach dem Engagement unseres damaligen Sponsors – der dortige Veranstalter das Festival kurzerhand aufs Land verlegte und es bis heute in dieser Form weiterläuft. Bern wollte uns nicht – das war in der Tat schade. Glück im Unglück: In dem Sommer, als das Floss erstmals im Schwellenmätteli hätte vor Anker gehen sollen, kam das Jahrhunderthochwasser – wir wären also sprichwörtlich den Bach runter …
Sie wohnen selbst an der Rheingasse in einem alten Haus (Baujahr 1363) und erleben den Rhein täglich. Wie beeinflusst der Fluss ihre Gemütslage?
Für mich hat der Fluss eine unglaublich wichtige Bedeutung. Mit dem täglichen Überqueren der Rheinbrücke lässt man meist den engen Horizont, den diese Stadt hat – hinter sich. Der Blick geht dann flussabwärts – und darin liegt oft eine Hoffnung, dass es dort als letzte Möglichkeit auch noch Träume zu verwirklichen gibt.
Gibt es eine Geschichte rund um das Kulturfloss/den Rhein, die sie besonders beeindruckt hat?
2009, also im zehnten Jahr Floss wollte mir ein Bekannter unbedingt seinen Sohn vorstellen. Sein Sohn freute sich und erzählte mir, dass er seit seinem 16 Altersjahr jeden Sommer zum Floss käme und das wunderbar finde. In diesem Moment wurde mir bewusst, dass wir eine ganze Generation bei ihren ersten eignen sozialen Kontakten und beim Aufbau ihrer höchst eigenen Sozialkompetenzen begleitet hatten. Da gibt es heute also eine ganze Generation junger Menschen Anfang dreissig, mitten im Erwerbsleben, für die es immer ein Kulturfloss in dieser Stadt gegeben hat und die Basel wahrscheinlich für kulturell ziemlich aufgeschlossen halten. Diese Menschen müssen notabene einen starken Bezug zum Rhein und ihrer Stadt haben. Zu Beginn des Flosses, als wir noch ziemlich unerfahren waren, geriet unser Weidling (das Langschiff für die Verbindung zwischen Floss und Ufer) einmal ins Vorwasser des Flosses. Das bedeutet, dass der Weidling von den Wasserfluten an den Bug des Flosses gepresst wurde – das war sehr gefährlich und die Gewalt derart, dass wir nicht mehr wussten, wie wir das Schiffchen wieder frei bekommen würden. Spontan kam uns an diesem Abend der Wasserfahrverein zu Hilfe und befreite den Weidling in einer spektakulären Aktion. Diese Art der Solidarität hat mich ungeheuer beeindruckt.
Geboren 1961 in Basel.
Gründete bereits im Alter von 21 Jahren das «theater marat/sade», mit dem er dem Basler Publikum bis 1998 hauptsächlich Open-Air-Theater mit insgesamt 22 Produktionen bot, etwa die «Dreigroschenoper» von Brecht/Weill. Dabei wurden verschiedene Plätze, die bisher kaum genutzt waren, als Orte für kulturelle Open-Air-Produktionen entdeckt. So spielte man 1996–1998 unter dem Motto «s isch eppis im Fluss» auf einem Floss im Rhein beim Kleinen Klingental Theater. Auch im Rahmen der Basler Fasnacht war er aktiv, und zwar als Regisseur und künstlerischer Leiter des «Kinder-Charivari» und des «Glaibasler Charivari». Seit 2000 Organisator des Projekts «im Fluss» auf dem Rhein bei der Mittleren Brücke und in andern Städten, neben weiteren Aktivitäten als selbständiger Kulturveranstalter und Architekt. 2005 erfolgte die Wahl in den Grossen Rat des Kantons Basel-Stadt.
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