Was wäre denn Basel ohne den Rhein?

Von Einheimischen und Gästen

Daas isch my Stadt, my Baasel

am Gnei vom wilde Ryy

es kennt e bitzli greesser

doch s kenn nit lieber syy

Treffender als mit den beiden Strophen eines Gedichts von Theobald Baerwart liesse es sich wohl nicht beschreiben, wie viele Baslerinnen und Basler über ihre Stadt und den diese in zwei Teile spaltenden – oder vielleicht in Wirklichkeit verbindenden! – Rhein denken. Was wäre denn Basel ohne den Rhein? Eine Frage, die sich zum Glück nie gestellt hat und nie ernsthaft stellen wird. Er gehört einfach dazu. Und so denken und dachten auch berühmte Einheimische und Gäste, die in Basel zu Hause waren oder für kürzere oder längere Zeit zu Besuch kamen.

Ehre, wem Ehre gebührt. Beginnen wir unseren Streifzug mit dem Vater der Basler Hymne, Johann Peter Hebel (1760–1826). «Z’Basel an mim Rhy» hier abzudrucken, wäre wohl Wasser in den Rhein tragen, wie der Volksmund sagt. In Basel geboren, liess der alemannische Dichter keine Gelegenheit aus, seine Liebe zur Natur und zum Rhein zu besingen.

Auch der Sekretär des Basler Reformkonzils, Aeneas Silvius Piccolomini (1405–1464), der spätere Papst Pius II, der mit Unterbrechungen siebzehn Jahre seines Lebens am Rheinknie verbrachte, war voll des Lobes: «Unnd rinnet der Rhein zwischen der grössern/und kleinern Statt/darüber ein Brücken bey 250. Schritt lang  Gehet/ die 14. Joch hat/unnd Anno Christi 1226. von dem Bischof/und der Burgerschaft daselbst/halb von Quadersteinen unnd halb von Fichtern-Holz erbawet worden ist. Und kommen da die Byrsig/oder Byrsich/Jtem die Wasser/Wiesen/unnd Birsch/in den Rhein. Der Lufft ist frisch und gut/der Boden herumb fruchtbar/unnd gibt es daselbst viel Brunnenquellen.» Silvius pflegte sein ganzes Leben lang eine enge Beziehung zur Stadt. Aus Liebe zu Basel erteilte er der Stadt im Jahr 1459 das Universitätsprivileg.

Es ziehen die Tage wie Wellen im Rhein

wechselvoll an uns vorüber,

bald freundlich erglänzend im Sonnenschein –

Es ziehen die Tage wie Wellen im Rhein

zu Zeiten auch grauer und trüber.

Dann wächst hier ein Tröster, Gott lass ihn gedeihn!

Es ziehen die Tage wie Wellen im Rhein –

wechselvoll an uns vorüber.

Emil Beurmann, 1897

Karl Friedrich Schinkel, Architekt und Maler, der vor allem in Berlin bedeutende Werke schuf, schrieb 1824 nach einem Besuch in Basel: «Der Rheinstrom mit grüner Alpenwasserfarbe stürzt reissend durch die Brücke. Zu beiden Seiten bildet die alte Stadt sehr malerische Ufer. Man sieht hochaufgemauerte Terrassen mit Lauben, Wein- und Blumengärten, unter denen die hohe, mit Lindenbäumen besetzte Terrasse, worauf der alte, die Altarnische gegen den Strom kehrende Dom liegt, die schönste ist. Nicht minder anziehend ist die Aussicht von derselben auf die Stadt.»

Im  Keschtenebaim- und Minschterschatte

isch s heerlig uff der Pfalz jetz z syy.

Voll Summerduft sinn Bäärg und Matte,

und unden uffe ruuscht der Ryy.

Dominik Müller, 1911

Charles Dickens, der englische Autor von «Oliver Twist» und «David Copperfield» und dessen im viktorianischen Zeitalter nicht weniger bekannte Freund und Schriftsteller Wilkie Collins begleiteten 1853 den Maler August Egg durch die Schweiz. Der Maler schrieb dabei seine Gedanken auf: «Wir verbringen die Nacht im Hotel Drei Könige am Ufer des von der Schneeschmelze heftig angeschwollenen, donnernd dahinrauschenden Rheins. Dickens und Collins scheinen schlecht zu schlafen. Dickens dachte an Szenen, in denen solche Naturgewalten die Leidenschaften seiner Figuren wachrütteln können.» Am Morgen danach war der Spuk verflogen und man fuhr in einem luxuriösen Mietwagen nach Lausanne weiter. Und doch zogen das nächtliche Erlebnis und die Träume etwas Positives nach sich. In einem von Dickens verfassten Stück wird die Nacht im Hotel, wenn auch an einem anderen Ort, verarbeitet.

Lyyslig singt der Stroom sy Lied,

Wäälegang und Kiiselkroose,

und i mues em Ruusche loose,

wo mi fuurt und wyter ziet.

Wie vom Duurm der Gloggeschlaag

alli Daag

in der glyyche Melodyy

streemt und bruust der alti Ryy.

Eduard Fritz Knuchel, 1939

Nicht nur Dichter und Kirchenfürsten liessen sich vom Rhein inspirieren. Johannes Amerbach (ca. 1444–1513), der erste bedeutende Buchdrucker und Verleger von Basel, hatte eine innige Beziehung zum Rhein. 1475 kam er in die Stadt, wo er neun Jahre später das Bürgerrecht erhielt und an der Rheingasse 23 im Haus «Zum Kaiserstuhl» wohnte. Amerbach blieb dem Rhein sogar über seinen Tod hinaus verbunden: Er liegt nahe am Kleinbasler Rheinufer in der Kleinbasler Kartause, dem heutigen Bürgerlichen Waisenhaus, beschrieben.

Auch nach dessen Tod verkehrten berühmte Leute im Hause Amerbachs am Rheinbord. Desiderius Erasmus von Rotterdam, humanistischer Gelehrter, Theologe, Übersetzer antiker Schriften und Schriftsteller, war einer von ihnen. Seine griechisch-lateinische Ausgabe des Neuen Testaments diente Luther für seine deutsche Bibelübersetzung. Im Münster steht seine Gedenkplatte, gestiftet von Bonifacius Amerbach und Hieronymus Froben, den Söhnen der zwei bedeutendsten Buchdrucker Basels.

 Es faart e Waidlig uff em Ryy,

es schlittlet iber d Schnälle

so gluschtig. Oo, wär mecht nit dryy!

Jetz danzt er uff de Wälle.

Anna Keller, 1944

Einige Personen, die mit dem Rhein Bekanntschaft machten, hätten diese lieber vermieden. Zu diesen zählt sicher auch Johannes Fatio (1649–1691). Er gehörte mit Jakob Henricpetri zu den Volksführern während des «Einundneuzigerwesens», der Revolution der städtischen Zünfte gegen die Alleinherrschaft der privilegierten Familien Socin und Burckhardt. Fatio wurde Gefangen genommen, gefoltert und geköpft. Sein Schädel wurde als abschreckende Warnung auf eine Stange am Rheintor, dem Tor am Brückenkopf der alten Brücke auf der Grossbasler Seite, gesteckt.

E stille Moorge voller Sunne,

fascht grienblau ruuscht der Stroom verbyy.

I haa mi würgglig nit lang bsunne,

bym Fluugblatz oobe gang i dryy.

Blasius, 1954

Die Bedeutung der Brücken ist bereits in einem anderen Kapitel beschrieben worden. Aber nicht die Verdienste des aus Lausen im Baselbiet Johann Jakob Balmer (1825–1898), Mathematiker, Physiker und Ehrenbürger der Stadt im Zusammenhang mit der Wettsteinbrücke. Denn die schiefe Anlage der zweiten Brücke über den Rhein geht im Wesentlichen auf ihn zurück. Als Mathematiklehrer und Privatdozent an der Uni Basel beschäftigte sich nicht nur mit Geometrie, sondern machte bedeutende Entdeckungen im Zusammenhang mit den physikalischen Eigenschaften des Elementes Wasserstoff, die ihn zu einem Vorläufer der Quantenphysik machen. Privat publizierte er über sozialen Wohnungsbau und Architektur und interessierte sich überdies für philosophische Fragen wie auch für Kabbalistik und Numerologie. Dabei, wie es sich für einen Brückenarchitekten gehört, suchte er eine Verbindung zwischen den Naturwissenschaften und der Religion.

Am Ryy, do stoot e Bänggli,

versteggt zmitts im Gebisch,

Deert isch so nuggisch z sitze,

deert waait der Luft so frisch.

Gustav Küry, 1945

Dass der «Vogel Gryff»-Brauch heute überhaupt noch durchgeführt wird und der «Wild Maa» auf dem Floss den Rhein hinunter fährt, ist nicht zuletzt dem Dichter und Pfarrer Johann Jakob Spreng (1699–1768) zu verdanken, der Pfarrer im Waisenhaus gewesen ist. Sein Einsatz zum Erhalt des Brauches im 18. Jahrhundert gegen die Proteste des Basler Klerus hat bewirkt, dass heute zum Dank dafür die Kleinbasler Ehrenzeichen stets auch im Hof des Waisenhauses tanzen, wo eine Gedenkplatte an ihn erinnert. Das Interesse des Gelehrten an dem volkstümlichen Brauch war gut begründet: Als Professor für Eloquenz und Poesie, Geschichte und Griechisch hatte er einen Sinn für Traditionen. So verfasste er auch eine Sammlung baseldeutscher Ausdrücke, ein Idiotikon, womit er als Sprachwissenschaftler seiner Zeit voraus war. Johann Jakob Spreng kam schon in jungen Jahren über Basel hinaus zu Ehren. So ernannte ihn Karl VI. in Wien zum kaiserlichen Poeten. Dennoch zog es ihn bald wieder in die Stadt am Rhein zurück.

I meccht, i wäär e Fisch,

velicht im Ryy en Äsche.

Wenn dää au dräggig isch:

I miest mi nie mee wäsche.

David Wolf, 1986

Nicht zu Unrecht sagt der Volksmund, das der Rhein die Lebensader der Menschen ist, die an ihm leben. Das hatte auch der Geologe Peter Merian (1795-1883), ein Cousin dritten Grades des berühmten Christoph Merian, erkannt. Als Spezialist für Gesteinskunde verglich er die geologischen Verhältnisse im Rheintal oberhalb Basels mit denen süddeutscher Salzlagerstätten. Der Professor für Physik und Chemie folgerte daraus, dass in unserer Gegend ähnliche Verhältnisse herrschen würden. Die daraufhin erfolgreich durchgeführten Bohrungen bei Rheinfelden und Pratteln erlaubten der Schweiz erstmals die Selbstversorgung mit Salz.

Beenden wir unsere kleine Exkursion über Menschen, die am und mit dem Rhein lebten, sich an ihm erfreuten und über ihn schrieben, wie wir sie begonnen haben: Mit zwei Strophen aus einem Gedicht von Theobald Baerwart.

Und immer no duet ruusche

my lieben alte Ryy

Hit zoobe, no de Säggse

gang i go baade dryy …

 

 

 

(Text: F. Ruedisuehli)

 

Rainer Luginbühl

Journalist BR, Basel, Love what you do and do what you love