Die Entwicklung vom Befehl zum System
Die erste Phase des KI-Einsatzes drehte sich um Prompt Engineering. Die Idee. Wenn der Impuls präzise genug ist, produziert das Modell eine gute Antwort. Dieses Denken greift heute zu kurz.
2026 verschiebt sich der Schwerpunkt. Nicht der einzelne Prompt entscheidet über Qualität. Sondern der Kontext, in dem das Modell arbeitet. Kontext wird zur Infrastruktur. Prompting wird zu einem Baustein darin. Genau hier beginnt Context Engineering.
Warum das wichtig ist.
Professionelle KI-Anwendungen brauchen keine punktuelle Antwort, sondern konsistente Leistung über längere Interaktionen. Mit Gedächtnis. Mit Datenzugriff. Mit klaren Rollen. Mit Tools. Prompt Engineering kann das nicht leisten. Context Engineering schon.
Kurz gefasst:
Prompt Engineering steuert die Formulierung.
Context Engineering steuert das System.
Ein Beispiel:
Ein einzelner Prompt kann eine gute Produktempfehlung liefern. Aber ein Verkaufsagent, der Kundendaten kennt, Sortiment, Regeln, Lagerbestand und Markenstimme. Der liefert zuverlässig. Weil der Kontext stimmt.
Context Engineering beschreibt den Aufbau eines Informations- und Systemraums, den eine KI nutzt, bevor sie antwortet. Systeminstruktionen, Dokumente, Memory, Tools, Datenbanken, Output-Schemata. All das gehört zum Kontext.
Dieser Wandel ist nicht akademisch. Er löst zentrale Probleme.
Halluzinationen entstehen oft aus Kontextlücken.
Inkonsistenzen entstehen durch fehlendes Gedächtnis.
Schwacher Domänenbezug entsteht durch fehlende Daten.
Unternehmen merken. Ein Prompt reicht nicht. Sie brauchen Systeme, die Kontext, Daten und Tools orchestrieren. Genau diesen Engpass schliesst Context Engineering.
Dieser Wandel ist zentral für die Professionalisierung von KI-Anwendungen, da er den Fokus von der einmaligen Abfrage auf die konsistente und verlässliche Leistung über längere Interaktionen verschiebt. Context Engineering etabliert sich damit als Schlüsselkompetenz im Umgang mit LLMs in komplexen Anwendungsumfeldern.

🧱 Abgrenzung: Prompt Engineering versus Context Engineering
Context Engineering beschreibt nicht mehr das Schreiben einzelner Prompts, sondern den Aufbau eines umfassenden Informations- und Systemkontexts, den eine KI nutzt, bevor sie antwortet.
| Aspekt | Prompt Engineering | Context Engineering |
| Zielsetzung | Generierung einer qualitativ guten Antwort auf eine isolierte Frage. | Erzielung konsistenter, verlässlicher und komplexer Leistungen über längere Interaktionen und Workflows. |
| Fokus | Der Text der Eingabe (der Prompt). | Der Arbeitsraum und das System-Setup des KI-Agenten. |
| Bestandteile | Der user prompt (die direkte Frage). | System-Instruktionen, Chatverlauf, Nutzerdaten, Dokumente/Datenbanken (RAG), Tools/APIs, definierte Output-Schemas. |
Während Prompt Engineering das Ziel hatte, die KI zu einer guten Antwort zu bewegen, schafft Context Engineering die notwendigen strukturellen und datentechnischen Voraussetzungen, damit das Modell konsistent, domänenspezifisch und komplex arbeiten kann.
📈 Relevanz und Notwendigkeit des Wandels
Viele der bisherigen Hürden im Umgang mit LLMs – insbesondere Halluzinationen, Inkonsistenzen und der fehlende Domänenbezug – werden nicht primär durch Modellschwäche verursacht, sondern durch mangelnden Kontext.
Für reale Anwendungen in Unternehmen (z. B. komplexe Code-Assistenz, Wissensmanagement, Workflow-Automation) reicht ein einzelner Prompt nicht aus. Es sind Systeme erforderlich, die Kontext, Datenzugriff und Tools orchestrieren. Context Engineering adressiert diesen Engpass, indem es stabile Gedächtnis-, Daten- und Rollenlogik in die Architektur integriert.
🔬 Aktuelle Entwicklungen und Innovationen 2026
Der Trend wird durch mehrere technische und konzeptuelle Fortschritte vorangetrieben:
1. Systematisierung und Persistente Kontext-Infrastruktur
Context Engineering wird formalisiert und als Infrastruktur verstanden. Forschungsarbeiten (z. B. Agentic File System Abstraction) schlagen ein abstrahierendes Dateisystem-Paradigma vor, bei dem Kontextartefakte (Memory, Dokumente, Metadata, Tools) einheitlich verwaltet, versioniert und zugänglich gemacht werden. Dadurch entsteht eine stabile, nachvollziehbare Plattforminfrastruktur, die Rückverfolgbarkeit und Governance ermöglicht.
2. Standardisierung von Daten- und Tool-Integration
Die Interaktion von LLMs mit externen Daten, Tools und Services erfordert einen verlässlichen Standard. Das Model Context Protocol (MCP), das Ende 2024 veröffentlicht wurde, dient als offener Standard, der definiert, wie LLMs sicher und einheitlich mit diesen externen Ressourcen interagieren können. Dies ist ein notwendiger Baustein für skalierbare und sichere Context-Engineering-Architekturen.
3. Multi-Agenten-Workflows
Bei komplexen Aufgaben werden zunehmend Multi-Agenten-Systeme eingesetzt. Hierbei wird die Aufgabe zerlegt und spezialisierte Sub-Agenten übernehmen definierte Rollen (z. B. Intent-Aufbereitung, Dokumenten-Retrieval, Synthese). Context Engineering ermöglicht dabei die gezielte Kontextinjektion und Koordination zwischen den Agenten, was die Performance bei komplexen Projekten signifikant verbessert.
🚧 Risiken und Herausforderungen
Der Paradigmenwechsel bringt auch neue Komplexität und Risiken mit sich:
- Management und Overhead: Kontext-Artefakte erzeugen einen hohen Speicher-, Revisions- und Governance-Overhead. Die Verwaltung und Wartbarkeit dieser technisch anspruchsvollen, abstrahierten Systeme ist kritisch.
- Sicherheit und Konsistenz: Die Einbindung von Tools, APIs und externen Daten vergrössert den Angriffs- und Fehlerraum. Systeme müssen sorgfältig entworfen und überwacht werden, um Prompt-Injection, Kontext-Drift oder den Zugriff auf unzulässige Daten zu verhindern.
- Skalierung und Relevanz: Trotz Retrieval-Methoden bleibt die Herausforderung, grosse, heterogene Datenmengen sinnvoll zu kuratieren und die relevanten Informationen bereitzustellen, ohne das Kontextfenster des Modells zu überlasten oder irrelevante Daten zu verarbeiten.
📝 Fazit
Context Engineering ist nicht lediglich ein Hype, sondern der technische und konzeptuelle nächste Schritt in der Entwicklung von KI-Systemen. Es markiert den Übergang von einem improvisierten Werkzeug zu einer produktiven Infrastruktur. Die Investition in die Gestaltung, Pflege und Governance dieser Kontexte ist entscheidend, um die Reproduzierbarkeit, Zuverlässigkeit und Domänenspezifikationen von KI-Anwendungen zu gewährleisten.

🔗 Weiterführende Links zum Thema
- Context Engineering 2.0: The Context of Context Engineering
- Model Context Protocol (MCP)
- LangChain Blog