30. August 1991: Der Todestag eines Künstlers und ein bedeutendes Kapitel in der Basler Musikgeschichte
Am 30. August 1991 verstarb Jean Tinguely, ein herausragender Plastiker und einer der größten Vertreter der kinetischen Kunst. Seine Schöpfungen, bestehend aus faszinierenden Maschinen und lebhaften Brunnen, sind nicht nur in Basel, sondern auch in renommierten Städten wie Paris und Fribourg zu bewundern. Tinguelys Einfluss auf die moderne Kunst war erheblich und spiegelt sich in der kreativen Atmosphäre Basels wider. An diesem denkwürdigen Tag trauerten Künstler und Kunstliebhaber gleichermaßen um den Verlust eines Innovationsgeistes, der die Verbindung zwischen Kunst und Alltag zelebrierte. Seine Werke forderten die traditionellen Auffassungen von Kunst heraus und luden das Publikum ein, sich mit den Themen Bewegung, Zeit und Veränderung auseinanderzusetzen.
Etwa ein Jahr vor seinem Tod hatte ich die Ehre, Jean Tinguely durch meinen Freund Onorio Mansutti, den Besitzer des legendären Musikrestaurants Atlantis, kennenzulernen. Onorio und ich waren bereits intensiv damit beschäftigt, eine CD zu produzieren, die an das 25-jährige Bestehen des Atlantis erinnern sollte – einem Ort, der in der Basler Musikszene legendär ist und viele unvergessliche Auftritte beherbergt hat. Ich als Produzent der CD war fest entschlossen, Tinguely für das Cover zu gewinnen, da ich überzeugt war, dass seine einzigartige künstlerische Handschrift dem Projekt eine besondere Note verleihen würde. Doch trotz meiner Überzeugung zögerte ich, ihn direkt zu fragen. Die Angst vor Ablehnung und die Unsicherheit über den richtigen Moment hielten mich zurück.
Die Zeit verging schnell und der Drucktermin näherte sich unaufhaltsam. Ein Gefühl der Dringlichkeit durchströmte uns, als wir realisierten, dass wir bald ohne Tinguelys kreative Mitwirkung dastehen könnten. Schließlich ergriff Onorio die Initiative und setzte sich erneut mit Tinguely in Verbindung. Mit einem Charme, der selbst den skeptischsten Künstler überzeugen könnte, schaffte es Onorio, Tinguely für das Projekt zu gewinnen. Es war ein Moment voller Hoffnung und Vorfreude. Doch nach mehreren Wochen des Wartens und ohne Neuigkeiten schien es so, als ob unser Traum platzen könnte. Die Ungewissheit machte uns nervös, doch wir blieben optimistisch und hielten an der Vorstellung fest, dass Tinguely eine geniale Idee hätte, die uns aus der Klemme helfen könnte.
Ein leeres Couvert, ein geniales Werk
Die Frist rückte näher und die Anspannung stieg. Schliesslich entschloss sich Onorio dazu, Tinguely ein weiteres Mal zu kontaktieren. Am nächsten Tag erhielten wir endlich die erhoffte Antwort: ein bemaltes A3-Couvert, das uns Tinguely per Express zuschickte. Er hatte humorvoll seine eigene Adresse durchgestrichen und den Weg zu Onorios Kontaktadresse gezeichnet. Es war ein typisches Beispiel für Tinguelys unkonventionellen Input und seinen spielerischen Umgang mit der Realität. Die Vorstellung, dass er mit einem einfachen Umschlag eine kreative Botschaft übermittelte, brachte uns zum Lachen und machte uns neugierig auf den Inhalt.
Die Wochen vergingen, und die Deadline für den Druck der CD-Umschläge rückte immer näher. Eine Alternative hatten wir nicht. Schließlich griff Onorio zum Telefon. Mit Engelszungen überredete er Tinguely, der schließlich zusagte. Doch auch nach mehreren Wochen war nichts in der Post. Onorio rief erneut an, diesmal charmant wie ein Heiratsschwindler. Am nächsten Tag traf per Express ein bemaltes und mit Figuren beklebtes A3-Couvert ein – das gleiche, das Onorio ihm Wochen zuvor geschickt hatte. Tinguely hatte einfach seine eigene Adresse durchgestrichen und einen Pfeil zu Onorios damaliger Adresse gemalt.
Als wir das Couvert öffneten, waren wir zunächst verblüfft: Es war leer – kein Bild, kein Cover, nichts. Der leere Umschlag stellte sich jedoch als Tinguelys künstlerisches Konzept heraus. Diese Leere war eine kraftvolle Aussage über den kreativen Prozess und die Art und Weise, wie wir Kunst wahrnehmen. Tinguely schuf durch die Abwesenheit von etwas eine neue Dimension des Denkens, die den Betrachter dazu aufforderte, über die Bedeutung von Kunst und deren Relevanz im Alltag nachzudenken. In einer Welt, die oft von der Fülle und sofortiger Verfügbarkeit geprägt ist, war dies ein eindringlicher Reminder, dass der Wert von Kunst manchmal in dem liegt, was nicht offensichtlich ist.
Onorio, immer noch etwas verwirrt, nahm erneut das Telefon in die Hand. Tinguelys Antwort war direkt: „He, der Umschlag ist der Umschlag!“, erklärte er mit einem schalkhaften Lächeln. Dieses Zitat ist für mich bis heute ein Symbol für Tinguelys unkonventionellen Zugang zur Kunst. Der Umschlag selbst war das Kunstwerk und Tinguelys handschriftliche Notiz unten rechts mit den Worten: „Alles OK, du kannst es tun!“ war mehr als nur eine Zustimmung. Es war eine Einladung, den kreativen Prozess zu umarmen und die Grenzen der traditionellen Kunstauffassungen in Frage zu stellen. Tinguelys Humor und seine tiefgründige Sichtweise auf die Kunst waren in diesem Moment offensichtlich und wir fühlten uns inspiriert.
Ein Meisterwerk Ewigkeit
Dieses einzigartige Werk wurde als das einzige CD-Cover gestaltet, das Jean Tinguely jemals entworfen hat: der Jean Tinguely CD Umschlag. Innerhalb von nur drei Monaten war die erste und einzige Auflage ausverkauft. Die Resonanz war überwältigend, und das Cover wurde zum Gesprächsthema in der Kunst- und Musikszene. Jedes Mal, wenn ich an Tinguely und unsere wunderbare Zusammenarbeit zurückdenke, kommt mir ein Lächeln ins Gesicht.
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Die Verbindung zwischen Musik und bildender Kunst ist ein faszinierendes Thema, das oft übersehen wird. Die Zusammenarbeit von Musikern und Künstlern kann zu einzigartigen Ergebnissen führen, die das Publikum auf vielfältige Weise ansprechen. Tinguelys Beitrag zu unserem Projekt ist ein hervorragendes Beispiel dafür, wie Kunst in verschiedenen Formen existieren kann und wie sie die Emotionen der Menschen berührt. Diese Synergie zwischen den verschiedenen Kunstformen bleibt bis heute relevant und inspiriert zahlreiche Künstler und Musiker weltweit, ihre eigenen Grenzen zu überschreiten und Neues zu wagen.

Danke, Jeannot, für dieses unvergessliche Kapitel in der Kunstgeschichte – und für den kleinen Coup, der Onorio und mir eine Geschichte beschert hat, die wir nie vergessen werden. Deine Werke werden weiterhin Generationen von Künstlern und Musikern inspirieren und die Menschen dazu anregen, sich auf das Unbekannte einzulassen.
Hier eine umfassende Besprechung der CD im Blog von Andi Jacomet: Diese ausführliche Analyse bietet einen tiefen Einblick in die Reaktionen des Publikums sowie die Bedeutung der CD in der Basler Musikszene. Andi Jacomet beschreibt nicht nur die musikalische Vielfalt, die auf der CD vertreten ist, sondern beleuchtet auch die kreative Entstehungsgeschichte, die hinter diesem einzigartigen Projekt steht. Die Analyse zeigt auf, wie Tinguelys Einfluss die Musik und das Verständnis von Kunst in Basel geprägt hat.